Immaterielles Weltkulturerbe der Unesco – St. Pauli?

Das BID Reeperbahn+ unterstützte das Kulturforschungsprojekt mit dem Ziel einer Anmeldung St. Paulis als immaterielles Weltkulturerbe der Unesco. Nahezu alle Medien einschließlich dem TV-Kulturevent „Titel, Thesen, Temperamente / ttt“ haben auf diese Idee reagiert und umfangreiche Beiträge veröffentlicht.

So oft diskutieren wir hier im Stadtteil über die Einmaligkeit des Miteinanders, über die Gefährdung eben dieser Besonderheit durch weltweite Trends, die auch vor unseren Stadtteilgrenzen nicht Halt machen. Und über Vielfalt, Touristenströme, Abhängigkeiten und die Liebe zum Stadtteil und seinem derart vielfältigen Selbstverständnis, dass man es nicht mal eben so in Worte fassen kann.

Wer hier auch immer das Wort St. Pauli in den Mund nimmt, hat dazu eine Haltung und ein Gefühl. Denn genau das ist St. Pauli auch, wenn man einmal ganz genau hinschaut:

Eine Haltung, ein Gefühl – und eben nicht nur ein weltweit einzigartiger Ort.

So oft fragen wir uns, welche Vorzeichen wir für St. Pauli setzen, für einen Ort, dessen Existenz in einem Vergnügungsviertel begründet ist, der im Miteinander wie das urbanste Dorf der Welt wirkt, obwohl in der Hauptsaison die halbe Welt Gast zu sein scheint – wodurch sich manche schon den steigenden Touristenzahlen ausgeliefert fühlen und Verdrängung befürchten.

Was als Schnapsidee der Projektgruppe „Große Freiheit am Tag des offenen Denkmals“ begann, hat im letzten Jahr eine unglaubliche Eigendynamik entwickelt: St. Pauli als immaterielles UNESCO Weltkulturerbe?

So verrückt die Idee im ersten Moment klang, so ernst ist doch der Hintergrund: St. Pauli von seiner anderen Seite zu zeigen. Als einen Ort kreativer Kraft, als einen Ort unglaublicher und historisch über 400 Jahre gewachsener kultureller Vielfalt. Als ein Ort, der einen ständigen Balanceakt zwischen kreativem Chaos und bürgerlicher Ordnung, zwischen Kunst, Kultur und Kommerz probt. Ein Kraftakt der Balance, auf den – trotz all der Reibungen, die dieses ewige Spannungsverhältnis produziert – letztlich doch irgendwie alle Seiten stolz sind.

Im Laufe der letzten Monate haben sich hinter dieser ungewöhnlichen Idee Protagonisten als die Initiative „Kulturerbe St. Pauli“ zusammengeschlossen, der sich weitere Initiativen, Einrichtungen, Institutionen und auch Einzelpersonen angeschlossen haben:

  • St. Joseph Gemeinde
  • St. Pauli Kirche
  • St. Pauli Bürgerverein
  • IG St. Pauli
  • Kurverwaltung St. Pauli e.V.
  • BID Reeperbahn+
  • Sankt Pauli Museum e.V.
  • kukuun
  • Olivia Jones & Familie
  • Schmidts Tivoli GmbH

St. Pauli bewirbt sich

Für die Initiatoren ist eines klar: St. Pauli ist einmalig. St. Pauli ist auch viel mehr als nur ein Ort. St. Pauli ist ein Selbstverständnis und Bekenntnis. Aber St. Pauli ist eben auch nicht eindeutig. Es gibt wahrscheinlich kaum einen vielfältigeren Ort, einen Ort, der so viele unterschiedliche Lebensentwürfe in sich vereint. Die Aufnahme St. Paulis in das bundesweite Verzeichnis immateriellen Kulturguts der UNESCO würde ein weltweit einzigartiges maritimes Hafen- und Vergnügungsviertel davor bewahren, auf Dauer zur blutleeren Folklore-Kulisse zu verkommen. Die angeblich „biedere“ Bundesrepublik Deutschland als „Heimat der Gründlichkeit und Industrienormerfinder“ verlöre ihre „Insel in Schräglage zur Norm“ und damit einen wahrhaft „außerordentlichen Raum“, der einzigartige Ideen, Trends, einzigartige Menschentypen und nachbarschaftliche Konstellationen hervorbringt.

Mittlerweile ist die Umfrage nach sehr vielen Presseberichten abgeschlossen und wird derzeit ausgewertet. Die Mehrheit der Befragten unterstützt die Idee, und es sieht danach aus, als ließen sich die Anforderungen der Unesco erfüllen. Nunmehr startet ein monatlicher Stammtisch im Sankt Pauli Museum, um mit Befürwortern und Kritikern über die Idee, die Erkenntnisse und die Chancen einer erfolgreichen Bewerbung zu diskutieren.

Wie lautet das Ziel?
Den Initiatoren ist bewusst, dass eine Bewerbung bei der Unesco für viele Projekte den Öffentlichkeitsmotor starten soll. St. Pauli braucht wahrlich nichts für seine Bekanntheit zu tun. Es gibt weltweit wenig Orte, die bekannter sind. Was die Initiatoren aber sehr wohl erreichen wollen, ist eine viel größere Öffentlichkeit und Wahrnehmung in Bezug auf die Besonderheiten dieses Ortes und der St. Paulianischen Seele. St. Pauli als Lebensraum, Freiraum und Kraftort.

Maßnahmen zur Erhaltung
Politischer Wille zur Schaffung rechtlicher Grundlagen, die den alten Strukturen die bestmöglichen Überlebenschancen bieten. Dazu gehören eine funktionierende Mietpreisbremse auch für Gewerbe, Bürgerbeteiligungsverfahren bei Bauprojekten und Maßnahmen der Stadtentwicklung (Beispiel Planbude), Stärkung der gewerblichen Mischung, Schutz von existierenden Bereichen des Vergnügungsviertels gegenüber der Verdichtung (Wohn- und Hotelbebauung) in Sachen Lärmemmission u. ä., Wahrnehmung der Bedürfnisse des Stadtviertels im Kontext des wachsenden Tourismuses sowie finanzielle Förderungen, um die Balance zwischen Kommerz und kulturellen Freiräumen auch langfristig zu ermöglichen.

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